27. Juni 2025

Markteinstieg: Einmalanlage oder ratierliches Investieren?

„Plötzlich steht auf dem Kontoauszug ein großer Geldbetrag, doch wie gehe ich damit um?“

Was für einen Privatanleger in der Regel (leider) seltener vorkommt, ist für uns als Vermögensverwalter tägliche Praxis. Menschen wenden sich an uns, wenn sie durch ihre berufliche Tätigkeit, eine Erbschaft, die Auszahlung einer Versicherung oder den Verkauf eines Unternehmens oder einer Immobilie zu einem großen Geldbetrag gekommen sind. Denn mit der ungewöhnlich hohen Liquidität kommt meist die Verunsicherung. Die in unseren Gesprächen mit Interessenten wie Bestandskunden am häufigsten gestellte Frage dreht sich dabei immer wieder um den Markteintritt:

„Soll ich den gesamten Anlagebetrag auf einmal investieren?“

Beziehungsweise als Abwandlung davon: „Soll ich nicht lieber Stück für Stück in den Markt einsteigen?“ oder „Sollen wir nicht etwas abwarten, bis die Kurse etwas zurückgegangen sind?“

Was nach einer rationalen Fragestellung klingt, ist hochgradig emotional

Die Angst, alles zu investieren und direkt Verluste zu erleiden, ist allgegenwärtig und nachvollziehbar. Gerade bei größeren Summen ist die emotionale Fallhöhe hoch. Wer würde gerne zu einem „schlechten Zeitpunkt“ investieren? Wer kurz vor der Weltfinanzkrise 2008 oder der Corona-Pandemie investiert hat, wurde plötzlich mit zweistelligen Minusrenditen überrascht.

Verhaltensökonomisch spricht man dabei vom „Regret Aversion Bias“: Anleger wollen das negative Gefühl vermeiden, eine schlechte Entscheidung getroffen zu haben. Mit einem Teil des Geldes abzuwarten oder es ratierlich – z. B. mittels eines Sparplans über die nächsten 12 Monate – zu investieren, wirkt in diesem Kontext wie ein emotionaler Airbag.

Auf den Crash zu warten, kommt Sie teurer zu stehen als einzusteigen

Gefühlt ist jedoch nie der richtige Zeitpunkt zu investieren. Egal wie gut oder schlecht der Kapitalmarkt in den davorliegenden acht Wochen, sechs Monaten oder drei Jahren sich entwickelt hat. Wenn der Aktienmarkt in der jüngsten Vergangenheit korrigiert hat, möchte man nicht „in das fallende Messer greifen“ – meist ein Fehler. Nur ein Beispiel: Viele Anleger schreckten nach dem pandemiebedingten Einbruch im Jahr 2020 und der Angst vor der zweiten Welle vor einer Investition zurück. Damit verpassten sie Aktienrenditen von über 20 % im Jahr 2021.

Doch auch wenn der Markt unter hohen Schwankungen seitwärts tendiert oder gerade ein neues Allzeithoch erreicht hat, zögern Privatinvestoren. Aus dem Glauben die Märkte seien zu „teuer“ oder „hoch bewertet“ möchte man nicht gegen das Mantra von „günstig kaufen – teuer verkaufen“ verstoßen. Dass die Angst vor dem Allzeithoch den durchschnittlichen Investor wertvolle Rendite kostet, haben wir bereits in einem eigenen Blog-Artikel beleuchtet.

Peter Lynch, einer der erfolgreichsten Fondsmanager aller Zeiten, stellte in diesem Zusammenhang fest: „Mehr Geld wurde mit dem Warten auf Korrekturen verloren als in den Korrekturen selbst.“.

Als Homo oeconomicus investieren Sie alles auf einmal

Beim Versuch eine möglichst rationale Sichtweise auf die Frage nach der Einstiegsstrategie einzunehmen, gelangt man schnell zu der Erkenntnis, dass Peter Lynch Recht behält. Aus wissenschaftlicher Perspektive besteht nicht der leiseste Zweifel, dass eine Einmalanlage statistisch eine höhere Renditeerwartung hat als ein ratierlicher Einstieg in den Markt.

Denn die Renditeerwartung von Aktien ist bis zu siebenmal höher als die liquider Mittel oder kurzfristiger, risikofreier Anlagen. Gleichzeitig ist die erwartete künftige Rendite von Aktien stets positiv. Grundlage dafür ist die Effizienzmarkthypothese: Sie besagt, dass sämtliche verfügbaren Informationen bereits in den aktuellen Kursen eingepreist sind und kurzfristige Marktbewegungen nicht verlässlich prognostiziert werden können. Damit stellen die heutigen Marktpreise die bestmögliche Schätzung des fairen Werts dar – und implizieren eine positive Risiko­prämie für den langfristig orientierten Anleger. Dies zugrunde gelegt, verschenkt man mit jedem Tag Nicht-investiert-sein eine positive Rendite. Man spricht bei diesem entgangenen Ertrag auch häufig von Opportunitätskosten liquider Anlagen.

Die US-Fondsgesellschaft Vanguard hat die Wertentwicklung einer Einmalanlage mit der einer gestaffelten Anlage an verschiedenen Märkten, über verschiedene Zeiträume und unter verschiedenen Renditeannahmen verglichen: Einmalanlagen schneiden in etwa zwei Dritteln der untersuchten Zeiträume besser ab als gestaffelte Anlagen. Je länger der Zeitraum für eine ratierliche Anlage gestreckt wurde, desto besser schnitt die Einmalanlage gegenüber dem Sparplan ab. Das Sprichwort „Time in the market beats timing the market“ trifft hier also zu.

Die wenigsten von uns verhalten sich wie ein Homo oeconomicus

Nun, wir wagen zu behaupten, dass sich kein Anleger (auch nicht wir) wie ein 100 %-rationales Excel-Modell verhält. Auch dank laufend neuer Erkenntnisse im Bereich der verhaltensorientierten Finanzforschung (Behavioral Finance) wissen wir heute, dass eine rationale Anlagestrategie nur so gut ist, wie der Entscheider, der sie dauerhaft und konsequent verfolgen kann.

Deshalb gilt es, die Anlageentscheidungen immer im Einklang mit den eigenen Emotionen zu treffen und nicht gegen sie. Mit der obigen Erkenntnis im Blick, dass die Einmalanlage das rentierlichere Instrument ist, zunächst ein paar Gedankenanstöße, die Ihnen die Entscheidung zum „Einstieg auf einen Streich“ leichter machen.  

Erstens: Je länger Ihr Anlagehorizont ist, desto unwichtiger ist das Timing. Wenn Sie planen Ihr Geld nur für ein Jahr in Aktien anzulegen (was wir Ihnen niemals raten würden), dann ist Timing, sprich den besten Einstiegszeitpunkt zu finden durchaus relevant. Gemessen an rollierenden historischen Renditen des MSCI World Index lag die beste Jahresperformance bei + 68 %, die schlechteste bei – 39%. Ganz anders sieht es bei längeren Zeiträumen aus. Nach 15 Jahren Investition hatte man schon in allen Zeiträumen einen Gewinn zu verzeichnen. Egal wann man investiert hatte. Nach 30 Jahren Anlage liegt der beste untersuchte Zeitraum (

 ~ + 12 % p.a.) und der schlechteste (~ + 7 % p. a.) schon recht nah zusammen. Fazit: Wenn Sie für die Altersvorsorge anlegen, ist der Einstiegszeitpunkt beinahe egal.

Zweitens: Das Timing ist vor allem für Aktien relevant – nicht für das Gesamtportfolio. Denn üblicherweise wird – gerade bei vorsichtigeren Anlegern – ein Teil des Geldes auch in Anleihen hoher Qualität und kürzerer Laufzeit angelegt. Die Volatilität dieser Schuldscheine ist etwa drei- bis viermal geringer als die von Aktien. Durch einen höheren Anleiheanteil im Portfolio wird die maximale Verlusthöhe nach einer Einmalanlage also reduziert.

Drittens: Wenn das Geld zuvor schon investiert war, stellt sich die Timing-Frage nicht. In vielen praxisrelevanten Fällen, war das Geld vor der Neuanlage schon investiert: In einer fondsgebundenen Versicherung oder anderen Finanzprodukten. Wenn das Kapital nur umgeschichtet wird, gleicht eine ratierliche Einstiegstrategie einer sehr aktiven Timing-Wette.

Viertens: Geld auf dem Konto ist nicht risikolos. Ein Thema, bei dem wir nicht müde werden es zu wiederholen. Neben den oben beschriebenen Opportunitätskosten haben Bankeinlagen – gerade über 100.000 Euro – durch die begrenzte Einlagensicherung ein massives Ausfallrisiko. Gegen eine Bankpleite verblasst das Risiko einer schlecht getimten Einmalanlage in Aktien!

Wie kann eine sinnvolle Strategie für einen Homo sapiens aussehen?

Fühlen Sie sich auch zur Spezies der real existierenden Homo sapiens zugehörig? Dann kann es gut sein, dass sich selbst nach den obigen Argumenten Schweißperlen auf der Stirn bilden, wenn Sie daran denken einen so großen Teil Ihres Vermögens auf einmal in den Markt zu investieren. Und das ist auch in Ordnung.

Dann ist es wichtig, eine Strategie zu finden, mit der Sie nicht versucht sind, täglich zweimal die aktuellen Börsenkurse auf Ihrer Handy-App zu checken. Es zählt, dass Sie überhaupt investieren und sich wohlfühlen, als dass Sie immer 100 %-richtig und rational anlegen. Wie kann also eine mental-emotional schonende aber dennoch sinnvolle Einstiegsstrategie aussehen? Zwei Lösungen haben sich in unserem Beratungsalltag bewährt.

Erstens, die pragmatische: Die Hälfte des Anlagebetrages wird auf einmal angelegt, die zweite Hälfte gleichverteilt über sechs monatliche Tranchen. Damit profitiert das Portfolio direkt von Marktaufschwüngen. Bei schwankenden oder fallenden Märkten, nutzt man günstigere Kurse zum nachkaufen. Nach sechs Monaten ist man voll investiert.

Zweitens, die weniger riskante Lösung: Man legt den risikoärmeren Teil des Portfolios (Anleihen, Geldmarkt) auf einmal an und steigt mit den Aktienpositionen über einen ratierlichen Sparplan über sechs, maximal aber zwölf Monate in den Markt ein.

Beide Strategien sind leicht umsetzbar und gut durchhaltbar. Gerade das konsequente Verfolgen des eingeschlagenen Weges halten wir für sehr wichtig! Jede Abweichung einer bereits formulierten Strategie ist nämlich wieder eine verhaltensinduzierte Entscheidung zum Markt-Timing.

Fazit

Wer finanzielle Entscheidungen rein rational trifft, wird größere Geldbeträge in der Regel sofort und vollständig in den Markt investieren – statistisch gesehen führt dieses Vorgehen langfristig zur höchsten erwarteten Rendite.

Doch wie so oft am Kapitalmarkt, geht es nicht nur darum, die beste Rendite zu erzielen, sondern die Risiken auf ein emotional und wirtschaftlich tragbares Niveau zu begrenzen. Ein Sparplan kann hier als emotionaler Kompromiss fungieren. In der Praxis bewährt sich dafür ein schrittweiser, systematischer Einstieg, der sauber durchgehalten werden sollte.

Nichts zu tun und auf den vermeintlich „richtigen“ Zeitpunkt zu warten, ist hingegen oft die ungünstigste – und zugleich verbreitetste – Variante.

Wichtige Hinweise 

Weder vergangene Wertentwicklungen noch Prognosen sind Indikator für zukünftige Wertentwicklungen. Die Inhalte sind nach bestem Wissen und mit großer Sorgfalt erstellt, gleichwohl können wir die Korrektheit der Informationen nicht garantieren. Wir übernehmen keine Haftung für etwaige Schäden, die aus der Verwendung der in dieser Veröffentlichung enthaltenen Informationen resultieren. Die hier enthaltenen Angaben basieren auf sorgfältig ausgewählten Quellen, die als zuverlässig gelten. Wir geben jedoch keine Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Angaben. Hierin zum Ausdruck gebrachte Meinungen geben unsere derzeitige Ansicht wieder und können ohne vorherige Ankündigung geändert werden. Anlagemöglichkeiten, die hier dargestellt werden, sind je nach Anlageziel und Finanzlage nicht für jeden Anleger geeignet. Die hier bereitgestellten Angaben dienen nur allgemeinen Informationszwecken. Der Zweck dieses Dokuments ist die Unterstützung der Diskussion mit Der Finanz Berater über die Anlagemöglichkeiten, die unseren Kunden zur Verfügung stehen. Sie stellen weder eine Anlageberatung noch ein Angebot, eine Empfehlung oder eine Aufforderung zum Treffen von Anlageentscheidungen nach dem Wertpapierhandelsgesetz dar. Investitionen in Wertpapiere, Investmentfonds, Immobilien und Rohstoffe bergen hohe Verlustrisiken, bis hin zum Totalverlust. Alle Rechte bei Der Finanz Berater – Artur Wunderle Vermögensbetreuungs GmbH, Hauptstraße 8b, 82319 Starnberg. 

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