Der alljährliche Blick ins Ungewisse
Pünktlich zum Jahresende werden wir von namhaften Geldinstituten verlässlich mit Prognosen zur Konjunktur- und Börsenentwicklung im kommenden Jahr geflutet. Der Blick in die Glaskugel verspricht unserer Branche vermeintlich Sicherheit und Unterstützung bei der Umsetzung der Anlageentscheidungen. Die Erfahrung lehrt uns jedoch, dass solch präzise Vorhersagen von Kursständen oder Wirtschaftsdaten mit großer Vorsicht zu genießen sind, stellen sie in der Regel die Fortführung bereits bestehender Trends dar.
Als langjährig tätige Finanzberater verfolgen wir das Geschehen an den Märkten deshalb mit dem notwendigen emotionalen Abstand. Das Vermögen unserer Kunden legen wir nicht prognosegetrieben, sondern bewertungsorientiert an. Dabei verlassen wir uns auf den Grundsatz der Börsen, dass Wertpapiere langfristig zu ihrem fachlich und fundamental begründeten inneren Wert zurückkehren.
Denn neben dem alltäglichen Auf und Ab der Börsen, machen vor allem diejenigen Ereignisse die Kurse, die von den Marktteilnehmern nicht erwartet werden. Eine Pandemie, Krieg in Europa oder im Nahen Osten standen in keiner der Prognosen der letzten Jahre. Unvorhergesehene Ereignisse müssen dabei aber nicht immer nur mit Kursabschlägen verbunden werden.
Als positive Überraschung sehen wir den Kursverlauf vieler Indizes im zurückliegenden Jahr, allen voran des heimischen Leitindex, dem Dax. Trotz vielfältiger Krisenherde sowie hausgemachter Probleme, konnte dieser im laufenden Jahr nicht nur um 20% zulegen, sondern im Dezember sogar kurzzeitig sein Allzeithoch überschreiten. Sah es im dritten Quartal noch danach aus, als würde der Dax seine in der ersten Jahreshälfte erzielten Kursgewinne wieder komplett abgeben, hat dieser in den letzten zwei Monaten eine fulminante Kursrally hingelegt. Das gleiche Muster zeigte sich bei vielen andere Indizes. Lediglich der chinesische Aktienmarkt hat das letzte Jahr deutlich im Minus abgeschlossen (-13,8%).
Auch positive Nachrichten werden berücksichtigt
Lagen bis Anfang November die schwachen Konjunkturdaten und die angespannte Stimmung wie eine Dunstglocke über dem Aktienmarkt, haben fallende Inflationsdaten sinkende Anleiherenditen und seitens der FED im Dezember in Aussicht gestellte Zinssenkungen für einen Stimmungsumschwung gesorgt. Nicht mehr Krieg, Krisen und negative Wirtschaftsdaten standen im Vordergrund, sondern die Erwartung fallender Zinsen im laufenden Jahr sorgten für ein Kursfeuerwerk. Die traditionell starke Wintersaison und ein deutlicher Rückgang der Ölpreise haben den Kursanstieg begünstigt. Wie immer, wenn Anleger auf dem falschen Fuß erwischt werden (die Kurse davonzulaufen drohen), treten weitere Teilnehmer in den Markt ein. Damit nährt die Hausse die Hausse.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich einmal mehr, dass vor allem große US-Unternehmen die Kurse an den internationalen Aktienmärkten getrieben haben. Nvidia, Apple, Alphabet, Amazon, Meta, Tesla und Microsoft besitzen knapp 30% Gewicht im US-Index S&P 500. Diese sieben Schwergewichte verzeichneten – auch genährt durch den Hype um die künstliche Intelligenz – nach Marktkapitalisierung Ende November eine Jahresperformance von über 70%. Damit waren sie für einen Großteil der Gewinne im bekanntesten US-Index verantwortlich. Zum Vergleich: Die restlichen 493 Unternehmen erzielten eine Rendite von lediglich 4,7%. (Quelle: Pictet Asset Management, Stand 24.11.2023)
Die Übermächtigkeit einiger weniger Unternehmen, vorrangig Technologiefirmen, bereitet vielen professionellen Anlegern zunehmend Sorge. Mittlerweile sind Wachstumstitel gegenüber den Value-Aktien höher bewertet, als es zu der New-Economy-Blase der Fall war. Das spiegelt sich in der Jahresperformance wider. Depots mit einer breiteren Diversifikation hängen dieser Entwicklung daher hinterher. Auf den Zug 2024 aufspringen oder die Big-Techs lieber meiden? Wir sind der Meinung: weder noch! An den großen US-Unternehmen führt kein Weg vorbei. Ihre Marktstellung gleicht Monopolen, die Gewinnmargen und das Wachstum sind hoch. Dennoch stellt ein so hohes Gewicht in wenigen Titeln auch ein Risiko dar, weswegen wir marktkapitalisierte Indizes wie den S&P 500 durch Anlagen in Nebenwerte und Substanzaktien aus anderen Sektoren (Value) ergänzen. Besonders die zinssensiblen Nebenwerte haben im Zuge der Novemberrallye ihren historisch hohen Bewertungsabschlag reduzieren können. Die eigentliche Bewährungsprobe für die Börsen dürfte allerdings noch vor uns liegen. Nachdem die Aktienmärkte geliefert haben, liegt es nun an den Notenbanken, die Erwartungen der Marktteilnehmer zu erfüllen.
Quelle: Taunus Research /Refinitiv
Ist die US-Notenbank zu voreilig?
Die Notenbanken sind mit dem Vorsatz angetreten, die Inflation nachhaltig zu senken und in den Zielbereich (2%) zurückzuführen. „Wir werden weiter machen, bis wir sicher sind, dass die Aufgabe erledigt ist“. Mit dem jüngsten Rückgang der Kerninflation (USA: 4%, Europa: 3,6%) sind sie dem Ziel etwas nähergekommen. Zu berücksichtigen ist allerdings der Basiseffekt, der dadurch entstehen kann, dass die Inflationsrate zum Vorjahresmonat (Europa 11/2022: 5,0%) berechnet wird. Die allenthalben publizierte Freude über den Rückgang der Inflation dürfte bei den Konsumenten indes nicht auf uneingeschränkte Glücksgefühle stoßen, leert sich doch der Geldbeutel – im Vergleich zum Vorjahr – nur mit einer etwas geringeren Steigerungsrate. Der Geldwert sinkt trotzdem.
Besser sichtbar wird das, wenn man sich den absoluten Anstieg des Konsumentenpreisindex über einen längeren Zeitraum anschaut. Vom Wert der Währung (hier dem USD) bleib nicht mehr viele übrig. Dem stehen allerdings auch höhere Einkommen und gestiegene Vermögenswerte gegenüber.
Die Vergangenheit wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich
Da sich der Blick in die Zukunft mit zunehmender Brennweite verschlechtert, hilft manchmal auch ein Blick in die Vergangenheit. Hinsichtlich der Inflationsentwicklung stößt man dabei auf zwei interessante Aspekte.
Erstens: Jedes Mal, wenn die Inflation in der Vergangenheit über 6% gestiegen ist, lag diese auch in den kommenden 5 Jahren bei über 4%. Dies zumindest zeigen Untersuchungen der Deutschen Bank zur Inflationsentwicklung seit 1920.
Zweitens: Die letzte größere Inflationsphase haben wir in den 70er Jahre erlebt. Der Jom-Kippur-Krieg in Israel und der damit einhergehenden Ölkrise – die OPEC drosselte die Ölfördermengen – sorgten für einen starken Anstieg der Ölpreise und des allgemeinen Preisniveaus. Der Anstieg der Inflation konnte seinerzeit ebenfalls durch eine restriktivere Geldpolitik zurückgefahren werden, stieg dann aber in einer zweiten Welle wieder an. Derzeit befindet sich die Inflation ebenfalls auf dem Rückzug. Daraus allein lässt sich allerdings noch kein Rückschluss über den zukünftigen Verlauf der Inflation ziehen.
Hinzukommen eine Reihe struktureller Faktoren, deren preisliche Auswirkungen bisher kaum thematisiert werden. Der stark zunehmende Rohstoffbedarf infolge der ökologischen Transformation, die Reduktion von Abhängigkeiten durch Rückverlagerung systemkritischer Industriezweige sowie steigende Rüstungs- und Infrastrukturausgaben. Die dadurch resultierende Nachfrageeffekte treffen auf eine teils angespannte Angebots- und Arbeitsmarktlage.
Folgt auf Euphorie bald Katerstimmung?
Zieht man sich den Durchschnitt der letzten 5 Wochen heran, zeigte die Stimmungslage an den Börsen – wie nicht anders zu erwarten – sehr viel Optimismus an. Weniger zuversichtlich sind die Anleger hinsichtlich weiterer Kurssteigerungen. Ersichtlich an der zunehmenden Anzahl von Absicherungen. Nach den deutlichen Kursanstiegen wäre eine kurzfristige Konsolidierung aber ohnehin als gesund einzustufen. Ob und wann diese kommt, bleibt ungewiss. Spannender ist ohnehin die Frage, in welche Richtung (Norden, Süden oder im Kreis) sich die Märkte in diesem Jahr bewegen und wie man sich in den einzelnen Anlageklassen positioniert. Eine bedeutende Rolle wird einmal mehr die Notenbanken und Politik einnehmen.
Fazit – Turbulent aber nicht aussichtslos
Rezession, Soft-Landing oder gar ein Durchmarsch? Die Prognosen für das laufende Jahr könnten unterschiedlicher nicht sein. Das ist insoweit nicht verwunderlich, machen die vielfältigen Krisen und potentiellen Einflussgrößen verschiedene Szenarien denkbar. Als Lichtblick und Kurstreiber hat sich die Aussicht auf eine Zinssenkung erwiesen. Bei aller Euphorie darf allerdings nicht übersehen werden, dass auf Zinsspitzen in der Vergangenheit (bis auf eine Ausnahme) eine Rezession folgte. Manche sehen in China sogar eine Deflation aufziehen. Eine solch pessimistische Sichtweise teilen wir nicht, zumal sich die konjunktursensiblen Industriemetalle nicht nur stabil (u.a. Kupfer) zeigen, sondern zuletzt sogar deutlich zulegen konnten (z.B. Eisenerz). Natürlich können die existierenden Belastungsfaktoren nicht ausgeblendet werden. Vieles hängt vom weiteren Konjunkturverlauf in den USA und Europa sowie der Fähigkeit der Unternehmen ab, den steilen Zinsanstieg verarbeiten zu können. Denn viele Unternehmen müssen sich 2024 zu deutlich höheren Zinssätzen refinanzieren. Wir sollten uns auch in diesem Jahr auf größere Schwankungen und zwischenzeitige Kursrückschläge einstellen. Auch können schwarze Schwäne, wie man unvorhersehbare Ereignisse an der Börse nennt, aufgrund der geopolitischen Lage nicht ausgeschlossen werden.
Dennoch blicken wir durchaus optimistisch in das Jahr. So wie im letzten Jahr die großen Technologiewerte positiv überrascht haben, sehen wir in diesem Jahr vor allem bei den Value- und Qualitätswerten aus der ersten und zweiten Reihe deutliches Aufholpotential. Viele dieser Werte sind mittlerweile sehr günstig bewertet, bieten zudem eine ansehnliche Dividende. In Kombination mit renditestarken Qualitätsanleihen sehen wir darin bessere Chancen, als an der Seitenlinie zu verharren, bis alle Krisen bewältigt sind.