Nun kommen wir zur vierten Ausgabe und damit zum Ende unserer Serie. In den ersten Teilen der Serie ging es um die Themen Stolz, Völlerei, Lust, Neid und Habgier bei der Geldanlage. Dabei wurde erläutert, dass Prognosen zu falschen Überzeugungen führen, zu viele Informationen nicht unbedingt hilfreich sind, Emotionen den klaren Blick vernebeln und Neid uns zu unzufriedenen Anlegern machen kann.
6. Faulheit
Faulheit wird im alltäglichen Sprachgebrauch häufig negativ bewertet – als Trägheit, mangelnder Wille oder gar Inkompetenz. In der Welt der Behavioral Finance, also der verhaltensorientierten Finanzmarktforschung, bekommt „Faulheit“ jedoch eine tiefere, systematische Bedeutung. Wir sprechen hier nicht von körperlicher Faulheit, sondern von mentaler Faulheit. Also die Tendenz des menschlichen Gehirns, kognitive Abkürzungen zu nehmen und auf einfache, automatische Denkweisen zurückzugreifen – auch dann, wenn differenzierteres Denken gefragt wäre. Diese Denkfaulheit hat tiefgreifende Auswirkungen auf Anlageentscheidungen und Marktverhalten.
System 1 vs. System 2 – Der Ursprung der Denkfaulheit
Wir beziehen uns bei den folgenden Ausführungen auf das Zwei-Systeme-Modell des Nobelpreisträgers Daniel Kahneman. Dabei unterscheidet man zwischen zwei Arten des Denkens:
- System 1 ist schnell, intuitiv, automatisch – und oft fehleranfällig.
- System 2 ist langsam, logisch, überlegt – aber energieaufwendig.
Der menschliche Geist ist evolutionär darauf ausgerichtet, Energie zu sparen. System 1 übernimmt deshalb so oft wie möglich die Kontrolle. Genau hier liegt auch das Problem: An den Finanzmärkten, wo rationale und reflektierte Entscheidungen nötig wären, verlässt man sich zu oft auf System 1 – aus purer Bequemlichkeit.
Beispiele für mentale Faulheit in der Finanzwelt
James Montier, der sich intensiv mit der Verhaltensforschung beschäftigt hat, nennt zahlreiche Beispiele dafür, wie Investoren ihrer Denkfaulheit erliegen:
- Herdentrieb: Anstatt eigene Analysen durchzuführen, folgen viele Anleger der Masse. Wenn „alle“ in Tech-Aktien investieren, tut man es auch – ohne die fundamentalen Daten zu prüfen.
- Overconfidence: Viele Anleger überschätzen ihre Fähigkeiten und glauben, den Markt schlagen zu können. Diese Selbstüberschätzung ist ein typisches Produkt von System-1-Denken.
- Confirmation Bias: Informationen, die die eigene Meinung bestätigen, werden bevorzugt aufgenommen. Kritische Gegenargumente werden ignoriert. Auch hier zeigt sich eine kognitive Bequemlichkeit – man möchte sich nicht mit unbequemen Wahrheiten auseinandersetzen.
- Kurzfristiges Denken: Statt langfristig zu investieren, lassen sich Anleger von aktuellen Nachrichten, Quartalszahlen oder Kursschwankungen leiten. Dies spiegelt eine Reaktion auf unmittelbare Reize wider – ein Zeichen von impulsivem Denken.
Die Kosten der Faulheit
Denkfaulheit verursacht reale Kosten. Anleger treffen suboptimale Entscheidungen, verkaufen zu früh, kaufen zu teuer, handeln zu oft. Studien belegen, dass ein Großteil der Anleger langfristig schlechter abschneidet als der Markt – nicht wegen mangelnder Information, sondern wegen fehlerhafter Informationsverarbeitung.
Ein zentraler Punkt in Montiers Kritik ist dabei auch die Struktur der Finanzindustrie selbst: Viele Analysten und Fondsmanager unterliegen Leistungsdruck, Bewertungszyklen und Bonusanreizen, die systematisches, tiefes Nachdenken eher behindern als fördern. Die Folge ist eine Kultur der schnellen Meinungen und kurzfristigen Maßnahmen – ein Nährboden für mentale Faulheit.
Gegenmittel: Disziplin und Struktur
Wer sich der Gefahr von systematischen Denkfehlern bewusst macht, kann ihnen durch strukturiertes Vorgehen entgegenwirken. Dazu gehört:
- Checklisten: Eine einfache Methode, um sicherzustellen, dass alle relevanten Faktoren berücksichtigt werden.
- Investment-Tagebücher: Entscheidungen und deren Gründe werden dokumentiert, um spätere Lernprozesse zu ermöglichen.
- Regelbasiertes Investieren: Emotionen werden durch vordefinierte Strategien ersetzt.
- Value Investing: Fundamentaldaten und langfristige Perspektiven stehen bei der Anlageentscheidung im Vordergrund.
Fazit
Faulheit ist kein moralisches Versagen, sondern ein zutiefst menschlicher, kognitiver Mechanismus. Wer erfolgreich investieren will, muss sich dieser inneren Trägheit bewusst werden und ihr gezielt entgegenwirken. Behavioral Finance zeigt: Es reicht nicht, klug zu sein – man muss auch bereit sein, das Gehirn wirklich zu nutzen. Denn echte Denkarbeit ist anstrengend. Aber in der Welt der Finanzen zahlt sie sich langfristig aus.
7. Zorn
Zorn – ein starkes, emotional aufgeladenes Gefühl. Im alltäglichen Leben führt er oft zu impulsiven Handlungen, verletzenden Worten oder unüberlegtem Verhalten. In der Welt der Finanzmärkte ist das nicht anders. Zorn ist eine jener Emotionen, die Anleger regelmäßig zu finanziell katastrophalen Entscheidungen verleitet.
Emotionen am Markt: Warum Zorn so gefährlich ist
Zorn entsteht häufig aus Frustration – etwa über Verluste, verpasste Chancen oder unerwartete Kursbewegungen. Diese emotionale Reaktion ist tief in unserer Biologie verankert: In Stresssituationen aktiviert das Gehirn das limbische System, den Sitz der Emotionen. Die Folge: Der Zugang zu rationalem Denken (System 2) wird eingeschränkt, und impulsives, emotionales Verhalten übernimmt die Kontrolle (System 1).
Es sind gerade diese Momente emotionaler Überladung, in denen Anleger die größten Fehler machen. Typische zorngetriebene Reaktionen an den Märkten sind:
- Rachehandel („Revenge Trading“)
Nach einem Verlust versuchen Anleger, diesen schnell wieder auszugleichen – oft mit noch riskanteren Trades. Statt Verluste zu akzeptieren, handeln sie aus Trotz, was meist zu noch größeren Verlusten führt. - Schnelle Verkäufe aus Ärger
Wer enttäuscht oder frustriert ist – etwa über schlechte Unternehmenszahlen oder politische Ereignisse – neigt dazu, Positionen impulsiv zu verkaufen, ohne die langfristige Perspektive zu berücksichtigen. - Marktbestrafung
Manche Investoren entwickeln eine fast persönliche Abneigung gegen bestimmte Märkte, Sektoren oder Unternehmen. Sie handeln nicht mehr objektiv, sondern lassen sich von Gefühlen wie Abneigung oder Frustration leiten.
Warum Zorn kein schlechter Ratgeber ist – sondern gar kein Ratgeber sein sollte
James Montier warnt eindringlich davor, Emotionen wie Zorn als Ratgeber in Investmententscheidungen zuzulassen. Für ihn ist Zorn nicht nur irrational, sondern ein direktes Hindernis für erfolgreiches Investieren. Märkte belohnen langfristiges, diszipliniertes Verhalten – und genau dieses wird durch emotionale Reaktionen wie Zorn untergraben.
In einem seiner bekannten Essays schreibt Montier sinngemäß: „Wenn Sie merken, dass Sie auf einen Kursverlust mit Zorn reagieren, ist es wahrscheinlich Zeit, den Computer auszuschalten und spazieren zu gehen.“ Der Rat klingt simpel, ist aber äußerst wirkungsvoll: Abstand nehmen, Emotionen erkennen und ihnen nicht nachgeben.
Zorn als Teil des menschlichen Denkens
Die Behavioral Finance zeigt, dass Emotionen ein integraler Bestandteil unseres Denkens sind. Sie lassen sich nicht komplett ausschalten – wohl aber erkennen und in ihre Schranken weisen. Zorn ist dabei besonders tückisch, weil er oft von einem Gefühl der moralischen Berechtigung begleitet wird: Man glaubt, „recht zu haben“ oder vom Markt „ungerecht behandelt“ worden zu sein. Diese moralische Aufladung verstärkt die Bereitschaft, unüberlegt zu handeln.
Professionelle Investoren sind ebenso anfällig wie Privatanleger. Selbst erfahrene Fondsmanager sind nicht immun gegenüber den emotionalen Extremen, die volatile Märkte mit sich bringen. Der Unterschied liegt in der Fähigkeit, emotionale Reaktionen zu erkennen – und nicht darauf zu reagieren.
Strategien gegen zorngetriebenes Investieren
Zu empfehlen sind mehrere praktische Maßnahmen, um sich vor den negativen Auswirkungen von Zorn zu schützen:
- Entscheidungen systematisieren: Wer klare Regeln für Käufe und Verkäufe hat, kann impulsives Verhalten minimieren.
- Pausen einlegen: Bei starker emotionaler Reaktion sollte man bewusst Zeit vergehen lassen, bevor man handelt.
- Und auch hier wieder: Tagebuch führen: Ein Investitionstagebuch, das auch die emotionale Verfassung bei Entscheidungen festhält, kann helfen, Muster zu erkennen und zu vermeiden.
Fazit
Zorn ist eine menschliche Reaktion – verständlich, aber gefährlich. In der Behavioral Finance gilt er als einer der Hauptgründe für Fehlverhalten an den Finanzmärkten. Wer langfristig erfolgreich investieren will, muss lernen, seine Emotionen zu kontrollieren – besonders dann, wenn sie am stärksten sind.
Damit haben wir alle sieben Todsünden durchgearbeitet. Es zeigt sich bei allen diesen „Sünden“, wie sehr unsere Psyche Einfluss auf unsere Anlageentscheidungen nehmen kann und wie schnell damit klassische Anlagefehler entstehen können. Vielleicht haben auch Sie die eine oder andere beschriebene Verhaltensweise in der Vergangenheit bei sich entdecken können. Das Wissen, warum welche Emotionen uns teilweise in die Irre führen, kann vielleicht helfen, die nächsten Marktphasen besser zu verstehen und auch besser damit umzugehen.