Jedes Jahr wiederholt sich dasselbe Ritual: Auf der Suche nach Orientierung für das kommende Kalenderjahr wagen viele Menschen zum Jahreswechsel einen Blick in die Glaskugel. Wäre es nicht schön zu wissen, ob die erwartete Beförderung oder das ersehnte Liebesglück heuer eintreten?
Die Hälfte der Deutschen liest gerne Horoskope. Vorhersagen über künftige emotionale Zustände oder zwischenmenschliche Beziehungen im Privatleben auf Basis von astrologischen Konstellationen sind beliebt. Sie bieten Orientierung, befrieden das Bedürfnis nach Kontrolle, regen zum Reflektieren an und bieten ein wenig Unterhaltung. Menschliche Bedürfnisse.
Kaum zu glauben, aber auch die Finanzmagazine und Jahresausblicke namhafter Investmentfirmen verfügen über einen Horoskop-Teil. Dieser wird meist mit dem Wort „Prognose“ getarnt. Auch die Investmentprofis streben nach Kontrolle und Vorhersagbarkeit für das kommende Börsenjahr. Pünktlich zum Jahreswechsel fluten diese Institutionen deshalb unsere Postfächer mit Ausblicken für das kommende Jahr. Gewinneraktien, Branchenempfehlungen oder Vorhersagen über die Entwicklung von Indizes und Rohstoffpreisen. Zugegeben die meisten Hypothesen in diesen Veröffentlichungen folgen schlüssigen Argumentationsketten, sind mit Fakten untermauert und von hoch dotierten Volkswirten oder Anlagestrategen verfasst.
Die Versuchung diesen Argumentationen zu folgen ist hoch. Wie gerne würde man doch die künftigen Verlierer meiden, nur die Gewinner kaufen und damit besser abschneiden als der Markt und die Freunde am Stammtisch. Der Titel dieses Artikels verrät unseren Standpunkt einer solchen Investmentstrategie zwar bereits, aber Sie werden erstaunt sein, wie erschreckend falsch man mit dem Prognostizieren dann doch liegen kann.
Prognosen sind kein Indikator für zukünftige Wertentwicklungen
Dieser Satz sollte eigentlich allen Anlegern bekannt sein. Schließlich steht er unter jeder in Deutschland publizierten Werbemitteilung eines Finanzdienstleisters. Leider wird er öfter missachtet als gelesen. Das überrascht, denn ob Prognosen richtig waren, lässt sich im Nachhinein wunderbar bestimmen.
Dankenswerterweise macht sich das boerse.de-Finanzportal jedes Jahr die Arbeit, die Kursvorhersagen der bekannten deutschen Investmenthäuser zusammenzufassen und mit den tatsächlichen Jahresendwerten zu vergleichen. Die durchschnittliche Schätzung für den Schlusskurs des DAX am 30.12.2024 lag Ende 2023 bei 17.175 Punkten. Tatsächlich kletterte der deutsche Leitindex über zweitausend Punkte höher auf 19.909 Zähler. Keine der aufgeführten Prognosen hatte eine solche Rally kommen sehen. Im Jahr zuvor das gleiche Bild: Der Schlusskurs lag 1.500 Punkte über der mittleren Vorhersage.
Kursprognosen von Banken für Jahresendstände 2024 aus 2023
Eine Auswertung des US-Finanznachrichtenhauses Bloomberg zeigt, dass auch die Wall Street nicht viel besser darin ist, die Zukunft des S&P 500 vorherzusagen. Beachtlich finden wir insbesondere, dass die tatsächliche Rendite des Index oft weit außerhalb der von den Experten vorhergesagten Bandbreiten liegt. Die tatsächlichen Indexrenditen sind damit viel volatiler als die prognostizierten Renditen. Es zeigt sich das gleiche Phänomen wie bei den deutschen Prognosen: Es wird vorsichtig optimistisch – meist zwischen 0-10 % Rendite p. a. – geschätzt. Allein der Blick auf die Volatilität des Index – also die durchschnittliche Abweichung der Renditen eines Vermögenswerts von ihrem Durchschnittswert – offenbart, dass diese wenig mutigen Prognosen falsch liegen müssen. Die Volatilität des S&P 500 liegt langfristig (je nach Betrachtungszeitraum) zwischen 12 und 20 %.
In vier der letzten fünf Jahren waren die Vorhersagen damit pessimistischer als die tatsächlichen Renditen. Wer als Anleger auf die Vorhersagen vertraute, hatte den Kursen wahrscheinlich hinterherschauen müssen und war trotzdem nicht vor den großen Bärenmärkten geschützt. Keines der Wall Street-Häuser hatte die großen Börsenkrisen (Dot-Com-Blase, Finanzkrise, Corona) der letzten 25 Jahre kommen sehen. Wie auch?
Vorhergesagte und tatsächliche Renditen des S&P 500 Index
Die Grafik zeigt, dass die tatsächlichen Renditen (schwarze Rauten) viel extremer ausschlagen als die Vorhersagen der Banken (rosa Balken) prognostizieren. Bei diesem Phänomen handelt es sich nicht um einen Zufallstreffer. Vielmehr stützen die Ergebnisse, die Hypothesen die bekanntesten Theorien der Finanzwissenschaft. So etwa die Effizienzmarkthypothese von Eugene Fama, die besagt, dass alle verfügbaren Informationen in den aktuellen Kursen eingepreist sind. Damit sind künftige Kursbewegungen rein zufällig und nicht vorhersagbar. Diesbezüglich empfehle ich Ihnen auch das Buch „A Random Walk Down Wall Street“ von Burton G. Malkiel. Es besagt, dass theoretisch fundierte Analysen selten eine konsistente und langfristige Überrendite liefern.
Große Kursbewegungen kommen aus unbekannten Richtungen
Prognosen erweisen sich häufig als unzuverlässig, was auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist. Ein entscheidender Grund sind unvorhersehbare Ereignisse, die sogenannten schwarzen Schwäne. Diese seltenen, aber gravierenden Vorkommnisse – wie Pandemien, Kriege oder Finanzkrisen – entziehen sich jeglicher Vorhersage und haben oft massive Auswirkungen auf die Märkte. Hinzu kommt die Marktpsychologie, bei der Emotionen wie Gier und Angst das Verhalten der Anleger prägen und zu irrationalen Kursbewegungen führen können. Auch Interessenkonflikte spielen eine Rolle: Investmenthäuser und Banken verfolgen mitunter eigene Ziele, mit denen sie zum Handeln animieren – woran sie Geld verdienen. Schließlich erschwert die Komplexität der Einflussfaktoren verlässliche Vorhersagen. Insbesondere bei Zinsen zeigt sich, wie schnell sich Rahmenbedingungen durch unerwartete geopolitische Krisen oder neue geldpolitische Prioritäten ändern können. Diese Dynamik macht präzise Prognosen nahezu unmöglich.
Anleger sollten sich auf das konzentrieren, was sie kontrollieren können
Klar ist: Prognosen können unterhaltsam sein und interessante Denkanstöße bieten. Zudem erwecken sie den trügerischen Anschein, ein wenig Sicherheit in die doch so unvorhersehbare Anlagewelt zu bringen. Doch genau diese Unsicherheit über die künftige Entwicklung von Unternehmen ist der Kerntreiber, dass Anleger für ein Aktienportfolio mehr Rendite erwarten dürfen als für die sichere Bankeinlage.
Anleger sind also gut beraten, Prognosen nicht als Entscheidungsgrundlage für ihre Investments nutzen. Zu groß ist die Gefahr, dass sie aufgrund schlechter Aussichten an der Seitenlinie stehen und den Kursen hinterherschauen. Stattdessen ist es ratsam eine langfristige Anlagestrategie zu verfolgen, die dem eigenen Risikoappetit entspricht und auf Grundprinzipien soliden Investierens baut. Wenn Sie also beim Lesen der düsteren Jahresprognose den Drang verspüren zu verkaufen, ist das sicherlich ein Indiz dafür, dass Ihre Strategie etwas zu riskant aufgestellt ist.
Herzliche Grüße, bleiben Sie uns gewogen (und investiert)
Fabian Wunderle
PS: Wenn wir gezwungen wären eine Kursprognose für das kommende Jahr abzugeben, hätten wir zwei Möglichkeiten.
Erstens, die konservative Option: Wir würden einfach die durchschnittliche Jahresrendite des jeweiligen Index auf den Jahresschlusskurs des Vorjahres schlagen. Beim DAX kämen wir so bei durchschnittlich 6-8 % Wachstum auf ca. 21.300 Punkte für Ende 2025. Wahrscheinlich liegen wir damit falsch, so machen es aber die meisten Banken auch. Stimmt es nicht? „Na, die anderen haben es auch nicht gewusst!“. Nichts verloren – aber auch nichts gewonnen.
Zweitens, die aggressive Option: Wir könnten einen großen Bärenmarkt prognostizieren, sagen wir der DAX steht zum Jahresende bei 12.000 Punkten. Auch hier ist es unwahrscheinlich, dass wir damit richtig liegen. Sollten wir aber recht behalten, hätten wir die Krise kommen sehen und könnten mit diesem Glückstreffer auf große (und wahrscheinlich erfolgreiche) Werbetour um neue Kundengelder gehen.
Nachdem beides nicht seriös ist, bleiben wir bei unserem prognosefreien Ansatz und sauber
strukturierten diversifizierten Portfolios. Unser Ziel ist, etablierte Risikoprämien
am Kapitalmarkt zu vereinnahmen, denn nur diese sind langfristig einigermaßen vorhersagbar.
Quelle: Banken-Prognosen 2024, boerse.de/boersen-prognosen-2024/; bloomberg.com