Wer kennt diese kleinen Werbeanzeigen im Internet oder der Lieblingszeitung eigentlich nicht? Auf einem Foto ist ein lächelnder Mann zu sehen, meistens auf einem Segelboot oder auf dem Golfplatz. Darunter steht geschrieben: „Sieben Wege, um mit 500.000 € bequem in den Ruhestand zu gehen“ oder „Kann ich mit 500.000 € aufhören zu arbeiten?“.
Zugegeben, die Werbung trifft den Nerv der Zeit. Denn die Fragestellung „Reicht‘s im Alter?“ bekommen wir von unseren Kunden häufig zu hören. Die Rente allein ist heute mit Gewissheit eines: Nicht mehr sicher. Im jüngsten Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist zwar das aktuelle Rentenniveau von 48 % bis 2031 garantiert – aber ob dieser Wert haltbar ist, steht in den Sternen.
Statt die notwendigen Reformen (Senkung des Rentenniveaus, Verlängerung der Regelarbeitszeit etc.) anzugehen, schließt man diese explizit aus und verstetigt die finanzielle Schieflage der Rentenkasse durch die Festsetzung des Rentenniveaus. Gut, dass viele Menschen das erkannt haben und mit Geldanlagen selbst für das Alter vorsorgen. Umso früher umso besser!
Bei der Planung ergeben sich emotionale und rationale Fragestellungen
Privat vorsorgen heißt auch: privat entscheiden. Und das auf Basis einer unsicheren Zukunft. Denn die Umstellung des Lebens- und Investmentmodells ist doch mit allerlei emotionalen und rationalen Unsicherheiten verbunden.
- Wann kann ich aufhören zu arbeiten bzw. wie viel Geld brauche ich?
- Wie stelle ich mein Portfolio auf, dass das Geld möglichst lange reicht?
- Wie gehe ich mit der eigenen Endlichkeit um? Wie lange lebe ich?
- Wie viel Kapital kann ich aufgrund dieser Annahme nachhaltig entnehmen?
- Kann ich mir das Vererben leisten bzw. soll ich schon verschenken?
Diese Ungewissheiten, die sich obendrein gegenseitig bedingen oder verstärken, machen das Umschalten vom Anspar-Modus in den Verbrauchs-Modus zusätzlich schwer. Die einzige Möglichkeit, der Unsicherheit zu begegnen ist, sie zu akzeptieren und eine möglichst praktikable und rationale Strategie zu entwickeln, sodass Ihr Geld im Alter in möglichst vielen Szenarien so lange wie nötig zur Verfügung steht.
Deshalb widmen wir dem Thema Kapitalverzehr und Entnahmen eine dreiteilige Serie, in welcher wir
- Ihnen helfen, sich die richtigen Fragen vor Beginn des Ruhestands zu stellen,
- zeigen, mit welchen realistischen Annahmen Sie planen können und
- Ihnen eine praktikable Strategie an die Hand geben, mit der Unsicherheit zu arbeiten.
Bevor wir also mit Zahlen konkret werden, beginnen wir bei jedem sinnvoll gestalteten Vorhaben zunächst einmal mit der Zielsetzung.
Erstens, Ziele: Wie wollen Sie im Ruhestand leben?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere Kunden sehr unterschiedliche und vielfältige Vorstellungen von ihrem Ruhestand haben. Die große Reise unternehmen, ein gemeinnütziges Projekt angehen, ein Feriendomizil anschaffen bzw. endlich mal nutzen oder ein neues Hobby erlernen. Regelmäßig begeistern uns Kunden mit ihren Lebenswegen und Ideen.
Und so individuell diese auch sind: Letztendlich dreht sich alles um die Frage „Wie kann ich meinen Lebensstandard im Alter über Einkünfte aus meinem Vermögen erhalten?“. Aus finanzieller Sicht liegen dabei drei übergeordnete Ziele zugrunde:
- Lebensqualität: Laufende Entnahmen für einen gewissen gewünschten Lebensstandard sicherstellen
- Stabilität: Stabile Entnahmeraten über die gesamte Laufzeit anstreben unter Berücksichtigung der Inflation.
- Sicherheit: Vermeiden, dass das Geld ausgeht.
Klar ist: Die drei Ziele müssen – trotz der besagten unvermeidbaren Unsicherheiten – anhand der individuellen Mittel ins Gleichgewicht gebracht werden. Und genau das ist die Crux: Das eierlegende Entsparschwein gibt es nicht!
Zweitens, Ausgaben: Wie viel Geld brauche ich?
Fangen wir mit dem an, was man nicht so einfach wegdiskutieren kann: fixe Ausgaben. Dazu gehören banale Dinge wie Miete, Essen, Strom oder Sprit fürs Auto – also alles, was das Leben am Laufen hält. Auch Schulden wollen weiterhin getilgt werden, egal wie entspannt der Ruhestand ist. Und natürlich: Der Staat vergisst einen nicht. Auch im Ruhestand werden Steuern fällig, wenn auch oft weniger. Nicht zu vergessen: Krankenversicherung und Arztkosten.
Variable Ausgaben. Jetzt wird’s persönlicher: Reisen, Hobbys, kleine (oder große) Luxusgüter. Ob Golfplatz oder Gartenverein, Kreuzfahrt oder Camper – hier kommt rein, was das Leben schöner macht. Für manche ist das ein Gläschen Wein, für andere der Wochenendtrip zu den Enkeln. Diese Ausgaben sind nicht zwingend, aber: Der Ruhestand soll Lebensqualität bescheren!
Und dann ist da noch die schleichende Geldvernichterin: die Inflation. Sie ist mit Abstand das unterschätzteste Risiko einer jeden Ruhestandsplanung. Sie sorgt dafür, dass 10.000 Euro Ausgaben pro Monat bei einer angenommenen Inflationsrate von 2 % in 10 Jahren schon ca. 12.200 Euro sein müssten, um die gleiche Kaufkraft zu gewährleisten. In 20 Jahren circa 14.860 Euro. Deshalb reicht es nicht, den Ruhestand „nach heutigem Stand“ zu planen.
Den Ausgaben werden dann die erwarteten Einnahmen entgegengesetzt: Gesetzliche Rente, Betriebsrenten, Versicherungen, Mieteinnahmen und so weiter. Das Delta ist Ihre Lücke, die Sie aus Kapitaleinkünften decken wollen. Zwei Hinweise an dieser Stelle: Versuchen Sie nicht jede einzelne Ausgabe oder Einnahme in die Zukunft zu prognostizieren – das Modell wird scheitern. Rechnen Sie als Sicherheitspuffer die Einnahmen mit einer Steigerungsrate von 1 % und Ausgaben mit einer Inflation von 2 %. Das ist ein pragmatisches Sicherheitsnetz für die Berechnung Ihrer Rentenlücke. Zweitens: Gehen Sie zunächst einmal von einem Wunschszenario aus, das Ihnen Lebensqualität beschert. Ob dieses dann realistisch ist, klärt sich im Laufe der in dieser Serie beleuchteten Planung.
Drittens, Fehlervermeidung: Sicherheit kostet Sie Lebensqualität!
Die Feststellung, dass ein signifikanter Teil Ihrer Ausgaben für Lebensqualität im Alter aus Kapitaleinkünften gedeckt werden muss, wird Sie zunächst erschrecken. Die Versuchung liegt nahe, diese Lücke direkt für den Rest des Lebens über eine sichere Rentenzahlung aus einer Versicherung zu stopfen.
Doch die vermeintliche Sicherheit der Leib- oder Sofortrente hat einen hohen Preis. Denn die (garantierten) Rentenhöhen des Großteils der am Markt verfügbaren Produkte sind enttäuschend gering. Eine 500.000 €-Sofortrente bringt einem heute 67-Jährigem derzeit maximal eine garantierte Rente von 1.600 € monatlich ein. In vielen Fällen muss man deutlich länger als der Durchschnitt leben, damit sich diese Lösungen gegenüber einem einfachen Festgeld, welches entspart wird, lohnen. Hinzu kommt, dass man im Falle eines frühen Versterbens, das nicht verbrauchte Vermögen nur bedingt vererben kann und die Produkte häufig intransparent und mit hohen Vertriebs- und Produktkosten versehen sind.
Eine Sofortrente deckt somit zwar Ihr Langlebigkeitsrisiko, doch bringt diese Sie gleichzeitig um ein gutes Stück Ihrer teuer erkauften Lebensqualität und Ihre Nachkommen um Ihr Erbe. Zudem sollten Sie sich die Frage stellen, ob sie Ihre Altersvorsorge wirklich in die Hände eines Versicherungsunternehmens geben möchten? Wir sind der Meinung, dass das Kontrahentenrisiko zu hoch ist!
Ähnlich sieht es bei Tages- oder Festgeldern aus. Zwar ist man von der Angst befreit, dass die aufgebaute Altersvorsorge durch Marktschwankungen abschmilzt. Aber ein Kontoguthaben ist immer ein Darlehen an die Bank und gibt es diese in 10, 20 oder mehr Jahren noch? Und die angenommenen 500.000 € schmelzen dahin. Selbst wenn Sie derzeit 1 % Zinsen p.a. bekommen, ist bei einer mit 2 % indexierten Rentenauszahlung von 2.000 € nach 18 Jahren das Geld weg.
Sicherheit, Stabilität und Lebensqualität durch ein Wertpapierdepot
Das gängige Verfahren um die obigen drei Ziele – also auch die Lebensqualität – zu balancieren, besteht darin, das Geld in Wertpapiere anzulegen und aus diesem Portfolio eine Rente zu entnehmen. Denn ein gemischtes Wertpapierportfolio bietet, sofern die Lebenserwartung zwischen unterdurchschnittlich und nicht extrem hoch liegt, deutlich höhere Renten, die sich zudem an die Inflation anpassen lassen. Nicht zuletzt besitzt das Depot ein Maximum an Flexibilität und Liquidität und lässt sich im Todesfall leicht an die Nachkommen vererben. Da Wertpapiere Sondervermögen sind, müssen Sie sich keine Sorgen machen, dass die Bank insolvent geht.
Um die richtige Entnahmestrategie zu formulieren, wird einem gegebenen Vermögen eine Portfoliorendite sowie eine inflationsindexierte „Portfolioentnahmerate“ unterstellt, die über den gesamten Betrachtungszeitraum (Lebenserwartung) durchgehalten werden kann. In der Wissenschaft spricht man von der sogenannten „Safe Withdrawal Rate“, der sicheren Entnahmerate, mit der das Portfolio nicht auf Null geht.
Welche Rendite dabei realistisch angenommen werden kann, wie man die eigene Lebenserwartung sinnvoll einschätzt und dabei auch noch genügend Sicherheitsnetze einbaut, dass das Geld am Ende reicht – das schauen wir uns in den nächsten beiden Teilen unserer Trilogie an.